MEINE BLAUE  FRAU

 

 

Es gibt entworfene Tage, gefühlte, gezeichnete und gedachte Tage. Außerdem gibt es noch gemalte Tage.

Es gibt Farben, die man mit einem Wort verbindet: türkis Wolken, preußischblauer Vogel, kobalt Hand. Natürlich wechseln die Worte und die Farben, aber sehr langsam.

M: Ich male Farben, die wir noch nehmen müssen.

J: Ich male das Gekrickelte, das wir auf die Fahnen gemalt haben. Ich mache einen Konstruktionsplan.

M: Ich male den Mann, der alle Farben weiß.

Auf der grauen Gartenbank am Tisch sitzend, Schatten von drei kleine Birken erhaltend, sitze ich und zeichne, lese und zeichne. YoYoMa aus dem Knopf im Ohr und das Rauschen der Blätter vermengen sich zu einem einmaligen Klanggemisch, welches Worte, Gefühle und Gedanken entspringen lassen.

Gräser und Blätter betrachten – vor und zurück, Überlagerungen – und versuchen, es zu verstehen. Keinen Sinn suchen, sondern die Gegebenheiten verstehen. Farben und Formen verstehen, Farben und Formen übernehmen, übertragen, ergreifen und einsetzen.

Farben setzen wie Stunden gesetzt werden.

Farben geben wie Stimmungen und Gespräche sich ergeben.

Schattenspiele auf dem Holztisch. Zeichnen zusammen mit M. Fragen der Welt werden gestellt und gezeichnet.

So hört sich Glück an, wenn die Bleistifte auf dem Papier kratzend sich hin und her bewegen.

Zu malende Bilder sind wie zu lebende Tage. Sie unterliegen ebenso Strukturen, Aufteilungen, Beginnendes und Endendes, Höhepunkten und alltäglich Wiederkehrendes. Handhabungen müssen getan werden, um Bestimmtes zu erreichen. Banales muss errichtet, ausgehalten und geschaffen werden, um Hervorragendes darzustellen, in den Blickpunkt zu bekommen und wahrzunehmen.

 

Die Kunst macht verständlich, die Kunst gibt ein Gefühl, dass das Leben zu leben sei. Ebenso wie es die Liebe und die Kinder vermögen.

Manchmal braucht man Unmengen von Zeit. Man braucht sie.

Man braucht Raum über einem, um Schauen und Staunen zu können. Man braucht ihn.

Man braucht einen Mittelpunkt, und sei er auch noch so klein, schwach und flackernd und fast nicht erreichbar, aber immerhin. Man braucht ihn.

Die Bewegungen der Birken sind ohne die Geräusche des Windes und den sich bewegenden Blättern nicht wahrnehmbar. Es ist als Ganzes wahrnehmbar. Wenn man die Geräusche der Blätter und Äste, den Wind auf der Haut und die Bewegungen von Blättern und Ästen schon erfahren hat, dann kann man vielleicht auch einzelne von einander getrennten Fragmenten in einem ganzen Zusammenhang einzeln wahrnehmen. Dennoch wahrhaftiger, einfacher, tiefer und intensiver ist es, wenn man alles zusammen aufnimmt. Nun werfen die Birkenblätter Schatten auf meinen Holztisch. Durch den Wind bewegen sich die Schatten tänzelnd auf dem Tisch - auch dieses ist als ein Abbild von der Erscheinung Birkenblätter wahrzunehmen. Sie ergänzen das ganze Wahrnehmen der Birkenblätter. Bewegende Schatten erzeugen wechselnde Bilder. Leichte Nuancen verschieben gegebene Formen- und Farbwirkungen.

Stille – Wind bringt Geräusche mit sich. Leichte Nuancen verschieben sich durch die verschiedenen Windböen und den damit wechselnden Blätter- und Baumbewegungen. Auch hier verschieben leichte Nuancierungen die Wahrnehmungshorizonte – Anderes wird wahrnehmbar. Sich darauf ein zu lassen, ist wunderbar. Damit kann man schon mal eine Stunde verbringen.

 

 

 

 

          Meine blaue Frau singt.

          Meine blaue Frau duftet.

          Sie duftet nach Blau. Nach himmelblau, nach coelinblau, nach türkis.

          Es umströmt sie ein Blau, das nur aus ihr entspringen kann. Intensiv – jede Entfernung von ihr lässt die Luft den Blaugeruch verdünnen. Je näher

          man aber meiner blauen Frau kommt, umso intensiver und verführerischer wird der Blauduft. Von ihr gefangen. Man kommt nicht mehr los.

          Warum auch?  Alle Blauherrlichkeiten sind in ihr enthalten. Blauwunder. Wunderblau. Nicht im Himmel, sondern auf Erden. Aber wie im Himmel.

 

          Meine blaue Frau spielt.

          Meine blaue Frau spricht.

          Sie spricht mit Worten einer blauen Stimmung. Genauso wie ihre Hände Bewegungen bläulich durch die Luft ziehen. Ihr Sprechen, ihre

          Bewegungen und ihr Blauduft vermengen sich zu einem Blauen Wunder. Meine blaue Frau besteht aus wundersamen Dingen - in Blau getaucht,

          durch Blau geatmet und in Blau entfaltet. Sie entfaltet Blau zu neuen Blautönen, die gesungen, gehaucht, gespielt, geschrieben, gestreichelt,

          gekritzelt, gestochert, gerührt, gesprochen sind. Wo sie nicht ist, fehlt das Blau.

 

 

          Meine blaue Frau wartet.

          Meine blaue Frau schaut.

          Sie blickt mit ihren Augen ins Blaue. Wohin auch sonst. Sie verwandelt alles. Warum auch nicht. Sie berührt mit ihren Blicken mich und dabei löse

          ich  mich auf. Sie verfolgt mich in meiner Auflösung. Umgeben von mir wandelt sie weiterhin durch die blaue Landschaft. Alles mit Blicken

          oder Händen berührend wandelt sie durch Blau in neues Blau. Es wandelt sich stetig. Meine blaue Frau wandelt sich und alles um sie herum. Gewiss

          ist nur das Wunder – mal blau – mal blau.

 

 

Meine blaue Frau gibt preis.

Meine blaue Frau zeigt.

Sie zeigt sich. Enthüllt und verhüllt.

Sie zeigt ihren blauen Busen. Verführerisch und zurückhaltend.

Sie zeigt ihre Haut. Bläulich und durchscheinend.

Sie zeigt ihren Mund. Köstlich und verschlossen.

Sie zeigt ihre Augen. Aufnehmend bläulich und schauend bläulich.

Sie zeigt ihre Hände. Haltend das Blau und bläulich nehmend.

Sie zeigt ihren Körper. Leben gebend und blau Halt suchend.

Offenbar und kaum wahrnehmend.

Offenbar und Schutz suchend.

Offenbar und eingehüllt in Blau.

 

 

Meine blaue Frau ist fern.

Meine blaue Frau ist nah.

Sie ist groß. Gibt Geborgenheit durch ihre bläuliche Anmut und ihren blauen Körper. Sie ist Blauheimat. Sie zeigt nach Norden und ist blaufern, fernblau. Sie zieht mich zu sich herüber. Und ich folge ins Blaugebiet. Hier bin ich. Hier gehe ich umher. Hier verlasse ich Gewohntes. Hier bin ich. Blauhalt. Einfach blau.

 

 

2009